Konstanzer Kunstpreis 2020

„inzwischen“ Davor Ljubičić
Coronabedingt war nur bis 1.11.2020 geöffnet!

Laudatio Preisverleihung 11.10.2020

Dr. Ute Hübner, Leiterin des Hesse Museums Gaienhofen ©

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Maja,
lieber Davor,

ich freue mich sehr, dass Dein Werk, das inzwischen über viele internationale Grenzen hinaus mit zahlreichen Ausstellungen verdiente Würdigungen erfahren hat, nun mit dem Konstanzer Kunstpreis ausgezeichnet wird.
1992 kamst du nach Konstanz - aus Kroatien, der Balkankrieg verhinderte eine Rückkehr dorthin, Du bist geblieben und mittlerweile seit vielen Jahren Konstanz und dem Bodenseeraum eng verbunden. Von Beginn an bist du präsent gewesen mit Kunst-Projekten und Initiativen beispielsweise deiner „Galerie Schwarzer Punkt“, einer Ausstellungsplattform für Künstler sowie mit zahlreichen eigenen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. Das ist u.a. auch das Verdienst der Galerie Bagnato, die mit Heidi Frehland Deine Arbeiten seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig in den eigenen Räumen und auf überregionalen Kunstmessen zeigt.
Davor Ljubičić, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein universaler Künstler, ein Inspirator. Sowohl sein Werk, das Performances, Videos, Installationen und Rauminszenierungen sowie Malerei und Zeichnung auf Papier umfasst, als auch seine Persönlichkeit sind von einer bedingungslosen und konsequenten künstlerischen Autonomie geprägt. Seine Eloquenz und Begeisterungsfähigkeit paaren sich dabei mit einem unbeirrbaren Durchsetzungsanspruch und rastloser Aktivität.
Seit 1995 hat Davor Ljubičić sein Atelier im Neuwerk in Konstanz. Dieser eigene Raum ist für ihn von großer Wichtigkeit - einen Ort zu haben, an dem sein Schaffen gerade in seiner Eigenart und Andersartigkeit zunächst seine spezifische Kraft entfalten kann.
So ist ein Besuch in seinem Atelier immer wieder ein Erlebnis: Großformatige Papierbahnen hängen an den Wänden, einzelne Papiere liegen am Boden oder stehen mittels eiserner Stellagen im Raum, manche Werke sind von einer Ausstellung zurückgekehrt, andere mitten im Entstehen oder werden erneut überarbeitet, vielleicht schon ein 2. oder 3. Mal. Trotz geöffneter Fenster steht ein durchdringender Geruch im Raum, der zunächst lockt, aber für Ungewohnte nach einer Weile etwas auf die Atmung drückt.
Davor Ljubičić liefert gleich die Erklärung: er bindet den Grafit, mit dem er schon seit Jahren arbeitet, mit doppelt gekochtem Leinöl.
Grafit ist eines seiner bevorzugten Materialien, der Fußboden seines Ateliers zeugt davon, tiefschwarz ist er von diesem Mineral und den Spuren von Davor Ljubičićs Arbeit durchdrungen.
In einer Raumecke liegen vom Künstler gebrauchte Handschuhe, alte ausgediente Arbeitshosen und quadratische Kissen, die er mit Grafit und Kohle überzogen hat. Die so regelrecht imprägnierten Gegenstände, die auch in seinen Video-Performances auftauchen, erscheinen wie Relikte aus einer vergangenen Welt, starr und unschuldig und doch wissend über den Zusammenhang und die Totalität von Wahrnehmung, künstlerischem Schaffen und Leben an diesem Ort.
Hemdsärmelig in Arbeitskluft ist Davor Ljubičić bereit, seine Arbeitsgänge weiter zu reflektieren. Neben Grafit, Leinöl, Wachs und Kohle bearbeitet er die schweren Papierbahnen zusätzlich mit Ölfarben und Ölkreiden.
Es sind die Spuren des gestalterischen Eingriffs, es sind der expressive Duktus, die abstrakten Linien und Bahnen zu Formen verdichtet, die Farbgraduationen, Oberflächenstrukturen, die Materialien und die damit verbundenen Techniken, die die ungewohnte Eindringlichkeit seiner Bilder ausmachen.
 
Viele seiner Arbeiten werden, wie der Künstler betont, einer Weiterbehandlung unterzogen, auch nach Jahren. Das heißt, Bilder, die noch zuvor als mehr oder minder fertig gegolten haben, werden geteilt, mit neuen Zeichen versehen, übermalt, collagiert, beidseitig mit Kohle, Ölfarbe und Leinöl durchtränkt und bearbeitet, manchmal auch geschunden. Indem Davor Ljubičić auf frühere Bildfindungen zurückgreift, wird deutlich, wie weit seine Bilder für ihn einen eigenen Kosmos bilden, mit dem er entsprechend umgeht.
Die Bilder verändern sich wie Lebewesen im Lauf der Zeit. „Alles was ich mache“, sagt Davor Ljubičić selbst, „befindet sich in einem Prozess. Was ich heute mache, was war. Die Chronologie meines Werks wird aufgehoben. Das fertige von heute wird morgen ausgelöscht, zerstört und ins Neue integriert – sanft oder gewaltig miteinander verbunden, verschmolzen. Davor ist so wichtig wie danach. Das Alte wird Teil des Neuen und umgekehrt.“
So bezeichnet der Künstler eine Arbeitsserie als „Rektifizierte Artefakte“. Dabei betrachtet er die älteren, längst fertiggestellten Werke wie „anonyme Fundstücke“, die er dann versucht zu „rektifizieren“, indem er sie im wahrsten Sinne des Wortes erneut durcharbeitet oder mit aktuellen Arbeiten zu neuen Konstellationen verbindet. Dies geschieht auch durch das Zusammenheften von Papieren aus unterschiedlichen Entstehungsphasen, wobei die Metallklammern für zusätzliche Spuren auf der Bildfläche sorgen. Nur die zum Teil überstehenden Ränder lassen ursprüngliche Erscheinungen erahnen.
Rektifizierung im Sinne einer Berichtigung trifft für die Werke also nicht wirklich zu, vielmehr geht es um Umformungen, die wachsende Komplexität mit sich bringen.
Diese erschließen sich dem Betrachter zwar nicht über den Inhalt, dafür sehr vielmehr über die Vielfalt der gestalterischen Mittel und Vorgehensweisen.

Vielleicht ist der prozessuale Charakter der Grund dafür, dass Davor Ljubičić immer wieder auch die Form der zweidimensionalen Malerei verlässt und seine großformatigen Papiere, die sich dann auch nicht mehr über Vorder- und Rückseite definieren, über eigens angefertigte Metallstangen in den Raum inszeniert.
So können Sie es jetzt in der Ausstellung unter dem Titel „inzwischen“ im Konstanzer Kunstverein erleben, hier setzt Davor Ljubičić auf eine völlig andere Raumgestaltung als vor fünf Jahren in seiner dortigen Ausstellung „Konstellationen“.
Neben den raumgreifenden großformatigen Papierbahnen hängen dort im Hauptraum weitere Arbeiten unterschiedlicher Formate direkt auf der Wand oder mit Abstand davor. Die Großformate verschaffen seinen Motiven nochmals eine zusätzliche visuelle Dimension und Stärke. Neben reinen Schwarz-Weiß-Arbeiten zeigen sich andere Werke mit spannungsvollen und kontrastreichen Farbkulissen zwischen suggestivem Blau, mineralischem Gelb, gedämpften Rottönen, die mit einem einsaugenden tiefen oder auch verhangenen Schwarz ringen.
Mit breitflächigen, schnell geführten Farbbahnen- und kurven und sehr viel feineren ausgreifenden Liniengespinsten sind die Bilder von Davor Ljubičić zwischen Malerei und Zeichnung situiert. Künstlerische Traditionen, etwa des Informel oder der gestischen Malerei kommen in den Sinn. Doch Davor Ljubičić fühlt sich keiner Richtung zugehörig oder verpflichtet, seine Kunst lässt sich auf keinen eindeutigen Status festlegen.
Sein Widerstand gegen jedwede Art von Zwängen und Anpassungen ermöglicht es ihm, immer wieder mit derselben Unbefangenheit zu dem zu finden, was ganz allein ihn ausmacht, in seiner Kunst: die Spannung auszuleben zwischen der eigenen Spontaneität und Energie und seinen den damit einhergehenden eingreifenden und weitertreibenden bildnerischen Handlungen. Zeichnerisches wird zur Basis für Übermalungen. Aufscheinende Farbigkeit wird manchen Arbeiten durch zudeckendes Schwarz wieder genommen. Aktionistisch, aus einer inneren Notwendigkeit heraus, wirft er auch schon mal die Farbe einfach auf die Bildfläche, die dann in Form von Verkrustungen zurückbleibt.

Seine Kunst sperrt sich figürlicher Zuschreibung. Nichts konkretes ist gemeint. Immer wieder neu und anders wird aus einer raschen Folge von dynamischen und vehementen Gesten der Bildraum verdichtet.
Spielerisch und konzentriert, anarchisch und diktatorisch zugleich setzt er die überkommenen bildnerischen Regeln außer Kraft: Er bringt die alte Welt unserer vertrauten Seherfahrungen ins Wanken und eröffnet überraschende Perspektiven.
Dabei werden von ihm Grenzen überschritten bzw. hinausgeschoben - das Verhältnis von Fläche und Raum ist für Davor Ljubičić wesentlich. Mit präzisen Setzungen erfolgt in den Räumlichkeiten des Kunstvereins eine spannungsvolle Ausdehnung seiner Werke und zugleich auch die Verdichtung zu einem „geschlossenen System“ im Sinne einer Gesamtinstallation.  
Dazu gehören auch die expressiven Kohlezeichnungen, die er dort direkt auf den Wänden ausgeführt hat, aber nicht als Weiterführung der Strukturen und gesetzten Formen auf den Papierbahnen. Es sind autonome Arbeiten, die mit den anderen Objekten kommunizieren. Oder auch nicht.
Davor Ljubičić liebt die Zeichenkohle, die, wie er sagt „dicke, satte Spuren“ hinterlässt, „sie  quietscht, sie schreit – zerbröselt unter den Fingern. Kohle ist staubig, pudrig. Die Haare werden schwarz, das Gesicht auch. In meinen Bewegungen ähnel ich einem urigen Höhlenbewohner, Höhlenmaler, will aber keine Tiere jagen, nur meine inneren „Dämone“ tanzen lassen.“
Zeichnen bedeutet für Davor Ljubičić auch Selbstwahrnehmung als aktive Synthese von Subjekt und Objekt auf dem Handlungsfeld des jeweiligen Bild- oder Zeichengrundes. Dabei ist ebenso ein rein zufälliges wie ein bewusstes Vorgehen möglich, das im Sinne eines Spannungsverhältnisses mit Kontrasten oder mit gleitenden Übergängen arbeitet.
Auch das sind Momente seines künstlerischen Prozesses, eines dynamischen Vorgangs, der letztendlich auch für den Betrachter erlebbar wird, so z. B. in dem kleineren Raum des Kunstvereins. Dort hat der Künstler acht wandbeherrschende, ja raumfüllende Papierbahnen installiert, die er mit schwarzer Ölfarbe und mit Kohle bezeichnet hat - die unterschiedlichen Texturen sind auf der Bildfläche wahrnehmbar. Wenige Farbspuren kontrastieren mit dem hermetischen Schwarz, das sich auf lichtem Bildgrund auslebt.
Der serielle Bildcharakter in diesem Raum eröffnet dem Betrachter sehr direkt und nah den Blick für Davor Ljubičićs Ikonographie der Bewegung, seine künstlerische Energie und der daraus resultierenden bildnerischen Kraft seiner Pinselhiebe als unvollendete Operationen auf dem Weg zur Erzeugung und Darstellung persönlicher Innenwelten.
Davor Ljubičić arbeitet schnell, aber nicht beliebig. Er setzt Akzente, entwickelt Ideen spontan weiter und folgt dem Instinkt für offene, ungewöhnliche Konstellationen.
Auf diese Art und Weise vitalisiert Ljubičić gleichzeitig die Räume, in denen er arbeitet, er verleiht ihnen eine Authentizität, die eine andere als die herkömmliche ist – der Raum als Ort der Provokation und der Subversion?
Wir sehen Davor Ljubičić als einen Künstler des Jetzt, dessen unaufhörlicher Antrieb es immer wieder ist, sich Situationen, Zustände, Stimmungen, Handlungen, Bewegungen, Zeitabläufe zu vergegenwärtigen und bildhaft aufzulösen.

Dazu gehören auch seine gefilmten Performances, die in Videomontagen in der Ausstellung zu sehen sind. Nimmt man sich Zeit für die unterschiedlichen Sequenzen, wird deutlich, wie wichtig Davor Ljubičić der Entstehungs- und Gestaltungsprozess seiner Arbeiten ist. Ob es das Anrühren von Grafit und Leinöl, das Zusammenfegen von Kohlestaub und das Polieren seines Bodens im Atelier mit Kissen unter den Füßen ist, oder der Kraftakt, bei dem der Künstler mit einem gefüllten Farbstrumpf auf seine Bilder einschlägt oder Metallstangen in der Mitte eines Raumes über einander wirft oder ob er in vollkommener Ruhe und Konzentration seine eigenen Hände mit Kohle bezeichnet bzw. seinen Körper mit Grafit einreibt oder von oben in seine bearbeiteten (weil platzsparend) eingerollten Papierbahnen filmt - jede der intensiven Beschäftigungen oder körperlichen Erfahrungen erscheint wie das unverzichtbare Glied in einer tragenden Kette, aus dem sich wieder etwas anderes, ein neues Jetzt entwickelt - Neufindungen zwischen Nachdenklichkeit, Impulsivität, aber auch Witz und Ironie.
In einigen Video-Performances entstehen durch Filmüberblendungen eine sichtbare Vernetzung von Zeit und Zeitlosigkeit, gleichzeitig aber auch die gegenseitige Durchdringung menschlicher Faktoren, wie Intuition, Emotion, Spontaneität, Instinkt, Denken, Wissen, Unterbewusstsein, Kalkül.
Vergegenwärtigt sich hier vielleicht auch die Einsamkeit des Künstlers innerhalb dieser komplexer Beziehungsebenen?
Ganz sicher scheint mir jedoch, dass der eigenwillige Charakter und die Radikalität im Werk Davor Ljubičićs, meine sehr verehrten Damen und Herren, nichts Festgefahrenes hat. Davor Ljubičić gibt Unruhe, Ungleichgewicht, Zwiespältigkeiten und Widersprüche, ja - Disharmonien nicht auf, weil jener ungesicherte Zustand die Quelle seiner künstlerischen Wirkung ist und bleibt. Wir dürfen also gespannt bleiben.

Und in diesem Sinne, lieber Davor, möchte ich Dir sehr herzlich gratulieren zum Konstanzer Kunstpreis und zur aktuellen Ausstellung.

Vernissage & Festakt zur Verleihung am Sonntag, 11. Oktober 2020 um 11 Uhr
Konzil Konstanz - Oberer Saal

Begrüßung und Preisverleihung
Uli Burchardt, Oberbürgermeister
Michael Günther, 1. Vorsitzender Kunstverein Konstanz 

Laudatio
Dr. Ute Hübner, Leiterin des Hesse Museums Gaienhofen

Der Künstler Davor Ljubičić erhält den diesjährigen Konstanzer Kunstpreis.
Davor Ljubičić wurde 1958 in Kroatien geboren. Sein Studium absolvierte er in den 80er Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Sarajevo. Seit 1992 arbeitet er als freischaffender Künstler in Konstanz und ist mit der Bodenseeregion nicht nur als Künstler sondern auch als Dozent verbunden.
Davor Ljubičić ist in erster Linie Zeichner und Maler, erweitert sein künstlerisches Profil aber mit Performances und Videos sowie raumbezogenen Installationen und Projekten. Mit Kohle, Graphit, doppelt gekochtem Leinöl auf schwerem Bütten stellt Ljubičić monumentale Werke her, die doch nie wirklich ihre Prozesshaftigkeit verlieren. In seinen neuesten Werken bearbeitet Ljubičić Teile seines früheren Werkes weiter und es entstehen collagenhafte Wandinstallationen . Seine Werke befinden sich in einem ständigen Prozess und bleiben damit für die Betrachter rätselhaft und geheimnisvoll, individuell lesbar aber niemals eindeutig.
Beeindruckend ist die Vielschichtigkeit des Gesamtwerks: Ausgehend von der Zeichnung und Malerei entwickelt der Künstler Objekte und neue Formen der Präsentation, und auch auf dem Gebiet der Performance, die er gerne auf Video festhält und in unterschiedlichster Weise präsentiert, zeigt er sich sicher und innovativ.

Die aktuelle Ausstellung im Kunstverein Konstanz zeigt eine installative Gesamtschau mit Malerei, Objekten, einer eigens für den Anlass entwickelten großformatigen Wandmalerei sowie eine Serie von Performances in mehreren Videos.

Der Preis, der alle zwei Jahre vom Kunstverein Konstanz e.V. und der Stadt Konstanz vergeben wird, ist mit 8.000 Euro dotiert und geht mit einer Ausstellung im Kunstverein Konstanz einher. Seit 1979 wird er an Künstler und Künstlerinnen verliehen, die im deutschsprachigen Bodenseeraum geboren oder beheimatet sind, hier längere Zeit künstlerisch tätig waren oder der Bodenseelandschaft in ihrem Werk eine bevorzugte Stellung einräumen.
Die Jury setzt sich zusammen aus VertreterInnen diverser Kulturinstitutionen aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz.

 

Weitere Informationen finden Sie auch unter…

www.davor-ljubicic.com

HTWG Konstanz - Schöpferische Unruhe

 

 

Fotos: © Kulturamt Konstanz | Fotograf Bjørn Jansen, Franz Reichrath, Davor Ljubičić

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