grenzenlos

Jörn Vanhöfen

Vernissage

Freitag, 15. Februar, 19 Uhr

Laudatio von Dorothea Cremer-Schacht

Einführung in die Ausstellung Jörn Vanhöfen

Kunstverein Konstanz, 15.2.2013 bis 21.4.2013
von Dorothea Cremer-Schacht
Projektgruppe Fotografie am Bodensee

 

Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, präsentiert zwei unterschiedliche Arbeitsweisen von  Jörn Vanhöfen. Die großen Tafelbilder in diesem Raum sind ein kleiner Ausschnitt aus dem umfangreichen Zyklus „Aftermath“, für dessen Motive der Künstler von 2005 bis 2010 die halbe Welt bereiste. Bevor sie hierherkamen waren sie bereits in Großstädten wie Hamburg oder New York zu sehen. Die kleineren, um ein zentrales Motiv arrangierten Fotografien, die Sie im Wesentlichen im Kabinett finden, bieten einen dezidierten Einblick in das neueste Schaffen des Künstlers aus den letzten sechs Monaten. Die Aufnahmen entstanden in der Autostadt Detroit und sind in Konstanz zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Der Bilderfries im schmalen Flur versteht sich als eine Überleitung von der einen zur anderen Werkgruppe.


Ich könnte mir vorstellen, dass Sie beim Betreten der Ausstellung  von den großen, hier im Oberlichtsaal hängenden, malerisch wirkenden Bildern, sofort gefangen genommen wurden. Der erste flüchtige Blick hat sie womöglich an die Zerstörung unseres Planeten, unserer Umwelt, an Endzeitstimmung und andere Folgen menschlichen Handelns  denken lassen. Mit diesen Assoziationen, das kann ich Ihnen versichern, befinden Sie sich im Mainstream der bisherigen Werksrezeption. Die meisten Besprechungen von Vanhöfens Aftermath-Serie diskutieren diese Begriffe an zentraler Stelle. Dennoch glaube ich, dass eine solche Verortung zu eng greift.

Sowohl die Tafelbilder in diesen Raum als auch die Straßenszenen aus Detroit im Nebenraum beschäftigen sich mit den „Ausscheidungen“ unseres zivilisatorischen Prozesses. Bei „Aftermath“, was man mit Hinterlassenschaft übersetzen kann, geht es um Dinge. Auf den Bildern sehen wir leerstehende Häuser, verrottende Schiffe, vergitterte Wohnungen, ausgediente Steinbrüche. Die Detroiter Straßenszenen, die auch vereinzelt Menschen abbilden, zeigen die Ränder unserer bewohnten Welt, dort wo Unwirtlichkeit in Zivilisationsbrache übergeht.  Derartige Motive laufen nicht Gefahr, mit den Hochglanzseiten der Tourismusmagazine in Berührung zu kommen. Aber sie laufen Gefahr, zu moralisierende Appellen zu werden,  zu plumpen Anklagen an eine Gesellschaft, besonders wenn wir uns von ihre irgendwie getrennt betrachten, weil wir uns zu denen zählen, die Müll trennen und Biokost essen.


Sehen, beurteilen, abhaken, wegschauen: So schnell wird man mit Vanhöfens Fotografien aber nicht fertig. Irgendetwas sperrt sich gegen diese schnelle Einvernahme und zwingt uns zu einem zweiten Blick.  Man schaut länger hin und schaut auf Dinge, die wir üblicherweise verstecken. Lassen Sie mich eine Parallele ziehen zu den biologischen Prozessen. Auch hier gibt es eine klare Trennung in die vorzeigbare Seite, die wir gerne sehen und jene Seiten, deren Anblick wir scheuen. Unser Wegschauen entspringt einer Abscheu vor dem Faulenden und dem Verderbenden. Unsere Abkehr mit Hygiene zu begründen mag rational sein, unsere Assoziation eines  verwesenden Kadavers mit Tod und Untergang ist es nicht. Es handelt sich nur um eine Transformation, neues Leben entsteht. Verwesen und Auflösen sind relativ. Bakterien, Maden, Fliegen gehören zu unserem Ökosystem genauso wie Gänseblümchen. Natur kennt kein Gut oder Böse sondern nur die Transformation in einen anderen Zustand und unsere Bewertung entspringt unserer tiefen, animalischen Verstrickung.


Es ist meines Erachtens diese fundamentalere Sicht auf unser menschliches Tun, die in Vanhöfens Werk anklingt. Ob man zwischen biologischen Prozessen und zivilisatorischen Prozessen überhaupt einen Unterschied machen muss, will ich offen lassen. Aber für die zivilisatorischen Hinterlassenschaften und Verfallsprozesse, die Vanhöfen uns zeigt, gilt auch, dass sie weder Endpunkte noch Tod zeigen, sondern Umwandlung  und Übergang. Manchen Bildern ist es offensichtlich. Wenn wir ein verfallenes Haus beim Abriss sehen, schwingt darin bereits der Beginn des Neuen mit. Wenn es nicht der Mensch ist, der seine Hinterlassenschaften einer Wiederverwendung zuführt, so wird es irgendwann die Natur in Form von Flora und Fauna und Wind und Wetter sein, die eine Re-Integration herbeiführt. Insofern kann das, was auf den ersten Blick mit Vergehen assoziiert wird, sich auf den zweiten Blick als natürliche Dynamik des Lebens offenbaren.


Doch auch wenn Vanhöfen uns einen gewissermaßen angehobenen Blickpunkt einnehmen lässt, ist sein Standpunkt nicht neutral. Er hat „Grenzenlos“ als Titel für diese Ausstellung gewählt. Wenn dieses Wort bei Ihnen die Assoziation an den Club of Rome weckt, wird der Künstler wohl nicht protestieren. Der Bericht dieser Organisation von 1972 hat in den westlichen Gesellschaften zu einer radikalen Neubewertung industrieller Produktion geführt. Neue moralische Urteile und politische Kräfte haben sich seither gebildet, wenn auch nicht unbedingt ursächlich verknüpft so doch aber zeitgleich. Seitdem gilt Vielen zivilisatorisches Wachstum zugleich als Naturzerstörung. Doch der  Mensch zerstört weder Natur noch Planet sondern nur seine Lebensgrundlagen und letztlich sich selbst. Solch ein Ernst spricht aus diesen Bildern.


In diesem Raum präsentiert Jörn Vanhöfen uns  nun diese „Ausscheidungen“ des zivilisatorischen Stoffwechselprozesses in ausgesprochen schönen, malerisch wirkenden Bildern.  Ästhetisierung, also das bewusste Verschönern, ist ein keineswegs unproblematisches Unterfangen bei der Bildgestaltung. Man kann das ohnehin Attraktive verbessern und bekommt so den perfekten Sonnenuntergang bei Capri, den makellosen Frauenkörper im Dunstlicht eines David Hamilton oder den muskulösen Männerrücken eines Robert Mapplethorpe. Wie dünn die Grenze zwischen Kunst und Kitsch wird, dürfte Ihnen an der Aufzählung deutlich geworden sein. In der Kunst sehen wir die Ästhetisierung daher auch häufiger auf der Seite des Hässlichen, als Tabubruch gedacht.


Vanhöfen stilisiert also das der Konvention nach Unansehnliche mit fotografischen Mittel zu stimmungsvollen Kompositionen. Seine Ästhetik ist aber weder L'art pour l'art noch Tabubruch, sondern Mittel zum Zweck. Die Schönheit seiner Bilder irritiert und schafft so Distanz. Ganz plump gesagt entsteht das Spannungsfeld: Es ist furchtbar, aber es sieht schön aus. Diese Spannung hilft oder nötigt uns, genauer hinzusehen und das intuitive, schnelle oder vorschnelle Urteil eines ersten Blicks zurückzuhalten.


Die Fotografien aus Detroit widmen sich ebenfalls unwirtlichen Orten. Überdimensionierte Straßen, leer wirkende Gebäude, großangelegte Parkplätze, vereinzelt auftretende Menschen zeugen von Melancholie , Trostlosigkeit und Desillusion.  Auch sie unterliegen einer strengen Komposition. Doch der Fokus liegt nicht mehr darauf, Ereignisse still-lebenhaft zu spiegeln sondern auf aktuelle Situationen und momentane Begebenheiten zu reagieren. Weniger die Stimmung als die Erzählung ist jetzt wichtig. Für diese Vorgehensweise hat sich Vanhöfen von seiner sperrigen Großbildkamera getrennt und zu einer handlicheren Kamera gegriffen, die ihn auch aus der Bauchnabelperspektive agieren lässt. Die Bildausschnitte werden weiter, offener, die Bilden bekommen  einen szenischen Charakter, der Betrachter ist aufgefordert die Geschichte aus einem Ensemble von Bildern zu lesen. Auch dieses gestalterische Element ist Mittel zum Zweck, die filmische Ausdruckswiese dient uns am schnellen Vorübergehen zu hindern, uns quasi ins Bild hineinzuziehen und so Sachverhalte genau zu betrachten, die wir sonst nicht bemerken.


Trotz aller Ästhetisierung und gestalterischem Formwillen: Vanhöfens Fotografie eignet sich keineswegs als pittoreske Dekoration. Die verrostende Heugabel vor dem verrottenden Scheunentor schafft es auf jeden Landleben- Kalender, einen Aftermath-Kalender wird es nicht geben. In welche fotografische Rubrik ist dann aber Vanhöfens Werk zu stecken?


Wir könnten es mit der Sozialfotografie versuchen, die gesellschaftliche Verhältnisse kritisch beleuchtet. Viele der Tafelbilder in diesem Raum verweisen auf Tatbestände, die uns ein Dorn im Auge sind. Doch wie ich schon eingangs sagte, halte ich diese Sichtweise für zu eingeschränkt. Ein verrottendes Schiff kann als Anklage für eine vernagelte Wachstumsideologie stehen, es kann aber auch das ewige Kommen und Gehen in der Welt symbolisieren. Die Detroiter Straßenszenen zeigen zwar Menschen in desolaten Umständen, doch fehlt ihnen die moralische Haltung beispielsweise eines Lewis Hines dessen Bilder zur Kinderarbeit zu einem Umdenken in der Beschäftigung Minderjähriger führte.


Offensichtlich ist eigentlich, Vanhöfen als Dokumentarfotografen zu verorten, denn er bildet Dinge und Situationen ab, wie er sie vorfindet. Inszenieren liegt ihm fern, seine Gestaltung reduziert sich auf die Wahl des Ausschnitts, ein Akt der jeder Aufnahme innewohnt. Dennoch passen die Werke nicht ganz in diese Schublade, denn in der Zusammenschau sehen wir, dass es weniger um das Abgebildete als solches geht, sondern um Symbole für Vergänglichkeit, Übergang letztlich den für Lebensprozess selbst. Hier tritt das Konkrete in den Hintergrund und das Allgemeingültige hervor.


Heißt das nun, dass wir Vanhöfen unter die Subjektive Fotografie gruppieren sollten? Hier kann man mit einem ziemlich klaren Nein antworten, denn es geht bei den Fotografien nicht um eine bestimmte innere Verfassung des Bildautors, dazu ist der Symbolgehalt zu allgemein, zu abstrakt.


Wir können natürlich sagen, dass es sich um Reisefotografie handelt. Vanhöfen unternimmt ohne Zweifel ausgedehnte Reisen in die unterschiedlichsten Regionen der Welt. Dort beginnt er nicht sofort zu fotografieren, wie er mir sagte, sondern nimmt sich tagelang Zeit das fremde Terrain auf mögliche Motive zu untersuchen. Dabei macht er sich Notizen zu bestmöglichem Aufnahmestandort, Uhrzeit, Sonnenstand, Witterung etc. Erst wenn Erkundung und Konzeption abgeschlossen sind, kommt die Kamera zum Einsatz. Doch so sehr die Vorgehensweise klassischer Reisefotografie ähnelt, ist es wieder das strenge inhaltliche Konzept, dass die Einvernahme vereitelt. Er berichtet aus fernen Orten nicht von den spezifischen Verhältnissen, sondern von den universellen Prinzipien. Es geht um das Gleiche in Bangkok, Duisburg oder Detroit.


Wenn folglich das Konzept dominiert, sollten wir sagen, Vanhöfen gehört zu den konzeptuellen Fotografen? Das wäre zunächst eine logische Schlussfolgerung, und heutzutage ist die konzeptuelle Idee Pate vielen fotografischen Schaffens. Planung, Einheitlichkeit und Serie allein reichen für eine Etikettierung als Konzeptueller aber nicht aus, das Konzept sollte dominierendes Merkmal sein, dem sich die Einzelbilder unterordnen. Bei Vanhöfen behält jedoch das einzelne Bild bzw. die einzelne Bildgruppe, auch außerhalb des seriellen Kontextes, seine Aussagekraft.


Vanhöfens Werk ist vielschichtig und somit schwer zu verorten. Es hat von allem etwas, und das hängt möglicherweise mit seiner persönlichen  Entwicklung zusammen. Begonnen hat Vanhöfens Fotoleben 1981 mit einer Fotografenlehre bei Thyssen Stahl in ?. Kohle und Stahl - beides Inbegriffe industriellen Zugriffs auf unsere Welt. Und doch zugleich Symbole des Niedergangs, im Ruhrgebiet allemal, wo Vanhöfen 1961 in Dinslaken geboren wurde. Wer hier im letzten Jahrhundert aufwuchs, lernte Natur vor allem als Wildwuchs auf Brachen kennen. Die Schwerindustrie hatte binnen weniger Jahrzehnte ganze Landstriche in Industrieflächen gewandelt. Wenn wir heute darin Zerstörung und Frevel sehen, sollten wir uns aber vor Augen halten, dass es seinerzeit Aufbruch, Fortschritt und Ausweg aus dem Elend für Hundertausende hieß.


Nach der Lehre hat Vanhöfen an der Folkwangschule in Essen Kommunikationsdesign studiert mit dem Schwerpunkt Fotografie. 1989 wechselte er an die renommierte Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, die er 1993 als Meisterschüler verließ. Bis zum Jahr 2001 arbeitete er als Fotojournalist für verschiedene Magazine. Ein Jahr zuvor hatte er sich bereits der Lehre zugewandt. U.a. mit Arno Fischer, dem berühmtesten Fotografen der einstigen DDR, hatte er die Schule am Schiffbauerdamm in Berlin gegründet, der er bis 2007 vorstand.


So wie die Lehrzeit die Motive beeinflusst haben dürfte, so hat die journalistische  Tätigkeit seine Arbeitsweise geprägt, allerdings im Sinne der Abkehr und Umkehr. Der Fotojournalist heutiger Tage ist zum Bildlieferanten geworden, der ein Thema nicht mehr vermittelt sondern illustriert. Längst dahin sind die Zeiten, als Fotografen sich in Zeitungen und Magazinen episch ausbreiten konnten und von aktuellen Ereignissen Zeugnis ablegten. Diese Funktion hat das Fernsehen inzwischen fast ausschließlich übernommen.


Doch es bedurfte eines Impulses von außen, um in die freie Fotografie zu wechseln. Und der kam mit einer Arbeit für die bekannte Schweizer Kulturzeitschrift „Du“. Bei der gewünschten Reportage über die Elbe kurz nach der Wiedervereinigung, ließ das Magazin Vanhöfen völlig frei agieren. Und diese Erfahrung hat mir Vanhöfen als sein fotografisches Coming-Out geschildert, bei dem er verstanden habe, dass nur eine zweckfreie, eigenständige Bearbeitung eines Themas sein Weg werden solle. Zusätzlich unterstrich er die Entscheidung für eine künstlerische Laufbahn mit der Wahl eines neuen Arbeitsmittels. Die von ihm präferierte Großbildkamera führte ihn in das beschauliche Arbeiten aus den Anfängen des Mediums im 19. Jahrhundert zurück, mit ihrer klaren, distanzierten, doch ausgefeilten Bildsprache.


Da Sie ja bereit einen ersten Blick auf Vanhöfens Fotografien geworfen haben, wünsche ich Ihnen nun viel Freude, wenn Sie ein zweites Mal hinschauen. Und noch eines: So unschön die eine oder andere Hinterlassenschaft, die Sie hier sehen auch sein mag, sie ist allemal besser als 2012 DA14. Der möge uns wie versprochen fernbleiben. Ich sehe ein paar fragende Blicke. Es ist der Asteroid, der um halb Neun scharf an unserem Planeten vorbeischrammt.


Viel Spaß also.

Projektgruppe Fotografie am Bodensee

Öffentliche Führungen

  • Do, 28. Februar  2013, 17 Uhr
  • Do, 21. März  2013, 17 Uhr
  • So, 07. April  2013, 11 Uhr

Finissage

Sonntag, 21. April 2013, 11 Uhr

Künstlergespräch mit Jörn Vanhöfen und Prof. André Gelpke, ZHdK

Das brisante Wirtschaftswachstum und die zivilisatorischen Prozesse einer zunehmend globaler werdenden Welt bestimmen die fotografische Arbeit des 1961 in Dinslaken geborenen und in Berlin und Kapstadt lebenden Jörn Vanhöfen. Seit Jahren reist der engagierte Fotograf an verschiedene Orte der Erde, um damit einhergehende gesellschafts- und wirtschaftspolitische Veränderungen in Bilder zu packen. Mit Groß- und Mittelformatkamera und einem hohen Grad an Ästhetik und Formwillen schafft der Künstler eindrückliche Bilder, deren distanzierte und ausgefeilte Bildsprache den Blick des Betrachters trotz trister Motivik zu fesseln vermag.

Unter dem Titel „grenzenlos“ präsentiert der Künstler in Konstanz zwei Werkaspekte. Die ästhetischen Tafelbilder im Oberlichtsaal bieten einen Ausschnitt aus dem umfangreichen Zyklus „Aftermath“. Zuvor waren sie bereits in Großstädten wie Hamburg oder New York zu sehen. Die kleineren, um ein zentrales Motiv arrangierten Fotografien, die im Wesentlichen im Kabinettsaal zu finden sind, bieten einen Eindruck vom Schaffen des Künstlers der letzten sechs Monate. Die neuen Aufnahmen entstanden in der Autostadt Detroit und sind zum ersten Mal öffentlich zu sehen.

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